Das GANZE Werk - Presseschau

Zitat:
„Aus Karlsruhes Sicht steht das duale Rundfunksystem unverändert unter dem Vorbehalt seiner Verfassungskonformität. Der Rabatt, der dem privaten Rundfunk wegen seiner Orientierung am Massengeschmack gewährt wird, ist nur so lange rechtens, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk ausgleichend auf dessen Defizite reagieren kann.
Hierfür muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk finanziell, rechtlich, technisch, personell instand gesetzt werden. Auch dies hat Karlsruhe mit Blick auf die Gewährleistungspflicht des Staates noch einmal klargestellt. Der Staat muss für einen freien Rundfunk sorgen. Doch jeglicher Einwirkung auf das Programmangebot, und sei es nur strukturell, muss er sich enthalten.“

epd medien Nr. 74, 19. September 2007

Editorial zum Karlsruher Gebührenurteil

„Funktionsnotwendig“

Von Volker Lilienthal

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Deutschland (epd). Dreizehn Jahre nach dem ersten großen Rundfunkgebührenurteil, in dem das Bundesverfassungsgericht am 22. Februar 1994 die Staatsfreiheit des Rundfunks und die dynamische Rundfunkfreiheit bekräftigt hatte (BVerfGE 90, 60; Dokumentation in epd 15/94), verkündete das höchste deutsche Gericht am 11. September ein weiteres Gebührenurteil, das ganz in der Tradition des ersten steht (vgl. Kommentierung in epd 73/07, Meldungen dort und in epd 72/07).

In dem aktuellen Urteil, das wir in unserer heutigen Ausgabe dokumentieren, war über drei Verfassungsbeschwerden der ARD, des ZDF und des Deutschlandradios zu entscheiden (Az. 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06). Alle drei Beschwerdeführer hatten eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz gerügt. In den Begründungen der Länder - für eine geringere Rundfunkgebührenanhebung als von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) empfohlen - seien Finanzzumessung und Reformerwartungen an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf verfassungswidrige Weise miteinander verquickt worden, so der Tenor der Beschwerden.

Das Bundesverfassungsgericht folgte dem im Wesentlichen. Zwar dürfe der Gesetzgeber grundsätzlich von KEF-Empfehlungen abweichen, jedoch nur aus Gründen, die vor der Rundfunkfreiheit Bestand hätten. Dazu zählten im engeren Sinne die Angemessenheit der finanziellen Belastung der Gebührenzahler sowie die Sicherung von deren Informationszugang. Die Art und Weise, wie die Ministerpräsidenten und nach ihnen die Landtage auf die „angespannte wirtschaftliche Lage“ Bezug genommen hätten, reiche als Begründung nicht hin. Den Ländern wurde außerdem eine verfassungswidrige Vermengung von Gebührenentscheidung auf der einen und Medien- und Wettbewerbspolitik auf der anderen Seite dort attestiert, wo sie vage auf „die aktuelle Gesamtentwicklung der Aufgaben im dualen Rundfunksystem und im Wettbewerb der Medien insgesamt“ verwiesen.

Die vorsorgliche Rücksichtnahme, die aus diesen Überlegungen der Rundfunkpolitiker der Länder sprach, mochte das Verfassungsgericht nicht teilen - offenbar auch deshalb nicht, weil es unverändert Anlass zu einem tiefen Misstrauen gegenüber dem privaten Rundfunk - mehr als 20 Jahre nach seiner Marktzulassung - sieht. Im Urteil ist explizit von aktuellen Konzentrationsprozessen die Rede. Auch führe der publizistische und ökonomische Wettbewerb nicht automatisch dazu, „dass in den Rundfunkprogrammen die Vielfalt der in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltungsmuster abgebildet“ werde. Weil dies so ist, weil vom privaten Rundfunk keine nennenswerten Gemeinwohlbeiträge für die Kommunikationsökologie der res publica geleistet werden, so sinngemäß, gelte das duale Rundfunksystem nur so lange als „mit Art. 5 Abs. 1 Satz 22 GG“ vereinbar, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Lage sei, seinen „klassischen Funktionsauftrag“ mitsamt „kultureller Verantwortung“ zu erfüllen.

Heißt im Klartext: Aus Karlsruhes Sicht steht das duale Rundfunksystem unverändert unter dem Vorbehalt seiner Verfassungskonformität. Der Rabatt, der dem privaten Rundfunk wegen seiner Orientierung am Massengeschmack gewährt wird, ist nur so lange rechtens, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk ausgleichend auf dessen Defizite reagieren kann.

Hierfür muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk finanziell, rechtlich, technisch, personell instand gesetzt werden. Auch dies hat Karlsruhe mit Blick auf die Gewährleistungspflicht des Staates noch einmal klargestellt. Der Staat muss für einen freien Rundfunk sorgen. Doch jeglicher Einwirkung auf das Programmangebot, und sei es nur strukturell, muss er sich enthalten. Die dynamische Bestands- und Entwicklungsgarantie, die das Urteil von 1994 fundierte, wird im 2007er-Urteil bekräftigt und an aktuelle Entwicklungen (wie Spartenprogramme und neue technische Sendeformen) angepasst.

Heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass die Politik alle Programmexpansionen von ARD und ZDF genehmigen und die Gebührenzahler den Betrieb aller möglichen Sender finanzieren müssten. Für Betätigungen der Sender „über den Rahmen des Funktionsnotwendigen hinaus“ dürfen die Länder als Rundfunkgesetzgeber sehr wohl zum Beispiel Programmzahlbegrenzungen einführen. Auch dies hat Karlsruhe klargestellt, und deshalb können die im Beschwerdeverfahren beklagten und unterlegenen Länder mit dieser Entscheidung leben.

Nur: Was der „Rahmen des Funktionsnotwendigen“ ist, das hat auch das Bundesverfassungsgericht offengelassen. Die Ausfüllung dieses abstrakten Begriffs bleibt also auch weiterhin dem politischen Streit überantwortet.

ursprüngliche Quelle: http://www.epd.de/medien/medien_index_51907.html

Lesen Sie außerdem zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 11. September 2007:
„Funktionsnotwendig“
Editorial zum Karlsruher Gebührenurteil von Volker Lilienthal
epd medien Nr. 74 vom 19. September 2007

Ein Hauch von Nostalgie
Kommentar zum Karlsruher Gebührenurteil (Ausschnitt) von Daland Segler
Frankfurter Rundschau, 12. September 2007
• Rundfunkfreiheit und Programmauftrag
Vollständige Dokumentation dieses Abschnitts oder
Kurzfassung dieser Dokumentation
Bundesverfassungsgericht, 11. September 2007, Urteilsbegründung
„Rundfunkgebühren verfassungswidrig festgesetzt“
Bundesverfassungsgericht, 11. September 2007, Pressemitteilung