Das GANZE Werk - Presseschau

DIE ZEIT, 24. Februar 2005 (Nr. 9) - DOSSIER

Rettet das Radio!

Von Ulrich Stock

Abschnitt zu:
NDR Kultur, Hörfunkdirektor Gernot Romann als Egon Krenz des NDR und Initiative Das GANZE Werk

Gernot Romann ist so eine Art Egon Krenz des NDR -
ein munterer Reformer, der nicht versteht, warum der Gegenwind immer stärker wird

Anruf beim Norddeutschen Rundfunk, Bitte um einen Termin mit dem Programmdirektor Gernot Romann. Doch, große Überraschung, Herr Romann hat keine Zeit, heute nicht, morgen nicht, die nächsten Wochen nicht. Die Pressestelle bittet, die Fragen schriftlich einzureichen. Sie würden auch schriftlich beantwortet.

Schriftliche Frage an den gesprächsscheuen Sender: "Wie wehrt sich der NDR gegen die zunehmend geführte Klage, das Öffentlich-Rechtliche gleiche sich dem Privaten immer mehr an?"

Schriftliche Antwort: "Mit der Einladung, die NDR-Programme zu hören. Jeder, der dies tut, erkennt, dass von einer Angleichung keine Rede sein kann."

Was ist hier los? Welch seltsamer Ton? NDR = DDR? In der Tat ist der Norddeutsche Rundfunk ein Reich für sich, von Polen bis zur holländischen Grenze, von Dänemark bis hinter Kassel. Ganz Norddeutschland hört den NDR - oder eben auch nicht. Unter den Anstalten der ARD ist der NDR die unmutigste. Während sich Sender anderswo schon etwas Neues einfallen lassen, um dem Privatfunk Kontra zu geben, und dabei auch durchaus Anleihen bei der eigenen Geschichte machen, ist der NDR noch eifrig bemüht, traditionelle Stärken zu beseitigen, um sich dem Privatfunk anzugleichen. NDR2 ist eine schlechte Kopie von Radio Hamburg und NDR Kultur eine noch schlechtere von Klassik Radio. Und Gernot Romann ist so eine Art Egon Krenz des NDR - ein munterer Reformer, der nicht versteht, warum der Gegenwind immer stärker wird.

Romann hat eine Menge Ärger - und macht eine Menge Ärger: Der NDR bemüht oft die Anwälte. Die Charakterisierung eben ist bestimmt auch für eine Gegendarstellung gut (etwa so: "Richtig ist vielmehr, dass Gernot Romann nicht so eine Art Egon Krenz des NDR ist.")

Der NDR ist wohl deshalb so reizbar, weil alle Veränderung nicht den gewünschten Erfolg bringt. Man verkauft seine Seele und bekommt nichts dafür - das ist bitter.

Heftigster Gegner der Programmreformen ist die Hörerinitiative "Das ganze Werk". Auf ihrer Website www.dasganzewerk.de streitet sie dafür, dass die NDR-Kulturwelle tagsüber wieder mindestens vier Stunden lang ganze Werke spielt und nicht einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Sätze. Denn so sieht's heute aus: Erst einen dritten Satz Mozart, dann ein Klavierstückchen von Chopin, eine Rossini-Ouvertüre, und munter wird's mit Johann Strauß! Keine Chormusik mehr, keine Bläserstücke, von Strawinsky allenfalls Teile des Feuervogels. Späte Streichquartette von Beethoven nur noch spät, nach Einbruch der Dunkelheit.

NDR3, qualitativ einst führend in der ARD, ist über zehn Jahre hinweg zur Dödelwelle umgebaut und entwortet worden. Der Tag beginnt noch mit dem anspruchsvollen Am Morgen vorgelesen, danach ist alles Komplexe, Schwierige verschwunden; es gibt allerdings auch nichts mehr, was zum Zuhören reizte. Nur in der Nacht nimmt der Sender noch Vernunft an - wenn der Programmdirektor schläft.

Die Unzufriedenen übersetzen "NDR Kultur" mit "Ende der Kultur". Knapp 1.700 Mitglieder zählt die Initiative inzwischen, engagierte, kluge Leute, die wirklich noch hören - und gehört werden wollen. Romann hat sie in einer Hauszeitschrift des NDR prompt als "Kultur-Ajatollahs" bezeichnet, und man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird.

Bis dahin kann Romann darauf verweisen, die Einschaltquote von NDR Kultur von 1,2 auf 1,8 Prozent gesteigert zu haben. Wenn allerdings eh so wenige zuhören, warum dann nicht wenigstens ein anständiges Programm machen?

Lesen Sie Leserbriefe vom 10. März 2005 zu dem Abschnitt NDR Kultur:

Leserbrief Nr. 1
Für von Ungeist geprägte Sätze dieser Art darf in der ZEIT kein Platz sein
Prof. Jobst Plog, Intendant des NDR, Hamburg

Leserbrief Nr. 2
Wir sind das Gebühren zahlende Volk
Michael Böhrs, Bad Vilbel

Leserbrief Nr. 3
Muss man sich heutzutage als Programmgestalter seines Lebens fürchten?
Dr. Günter Struve, Programmdirektor Erstes Deutsches Fernsehen, München

Leserbrief Nr. 8
Weil wir nach einer Empfehlung der ZEIT die Prügel- und die Haftstrafe forderten, behält sich Frau Mirow juristische Schritte vor
Liane und Fritz Purfürst, Hamburg

Leserbrief Nr. 9
Einer der besten Artikel der letzten Jahre
Guido Gest, Büro des Ersten Bürgermeisters, Hamburg

Leserbrief Nr. 10
Medienexperten erzählten den durch den Erfolg der Privaten verunsicherten Redakteuren, dass nur die Quote zähle
Carl-Wilhelm Lohmann, Hamburg

Leserbrief Nr. 13
NDR = "Nur Dürftiges Radio"
Herbert Jühlke, Schenefeld

Leserbrief Nr. 15
Verdrängung von Kultur durch Kommerz
Hans-Peter Beer, Kasseburg

Das vollständige Dossier der ZEIT: Rettet das Radio!

Quelle: www.zeit.de/2005/09/RettetdasRadio