NDR - Korrespondenz

Welch ein Glück: Schon wieder ein Kultur-Ayatollah weniger

Herr Romann gibt Zahlen-Geheimnisse preis - gnädigerweise

Vor allem in Hamburg, aber auch in den übrigen Sendegebieten kann sich NDR Kultur so deutlich verbessern, dass ich Ihnen die Ergebnisse nur allzu gerne offen lege
Zahlenspiegeleien, Teil 3

Frau I. Kossebau

8. Oktober 2004

Sehr geehrte Frau Kossebau,

vielen Dank für Ihren Brief vom 15.09.04. Bevor ich auf Ihre Kommentare und Fragen bezüglich des Programms von NDR Kultur und der Entwicklung unserer Hörerschaft eingehe, möchte ich Ihnen versichern, dass es nie meine Absicht war, Sie persönlich zu beleidigen. Meine Ausführungen stellen vielmehr eine - zugegebenermaßen zugespitzte - Replik auf die in der jüngsten Vergangenheit bisweilen sehr unsachlich geführte öffentliche Diskussion über die Entwicklung von NDR Kultur dar.

Zu Ihrem Vorwurf, die Programmverantwortlichen von NDR Kultur nutzten die Arbeit im und am Programm als "Spielwiese" und vernachlässigten dabei den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag, möchte ich Ihnen sagen: genau das Gegenteil ist der Fall. So stehen im Mittelpunkt der programmlichen Bemühungen von NDR Kultur die Interessen der Allgemeinheit, d.h. für das Kulturprogramm des NDR die Interessen und Bedürfnisse der klassik- und kulturinteressierten Radiohörer. Diese werden mit dem aktuellen Programmangebot offensichtlich deutlich besser als in den Jahren zuvor befriedigt. Das jedenfalls beweisen die Ergebnisse der jüngsten Media-Analyse, bei der NDR Kultur in allen Sendegebieten deutlich mehr Hörer erreicht als noch vor der Reform vor zwei Jahren. Wie Sie in Ihrem Schreiben richtig erwähnen, sind vor allem die Erfolge von NDR Kultur in Hamburg beachtlich.

Aber auch in den übrigen Sendegebieten kann sich NDR Kultur so deutlich verbessern, dass ich Ihnen die Ergebnisse nur allzu gerne offen lege:

Niedersachsen (2002 vs. 2004):plus 13.000 Hörer
Schleswig-Holstein (2002 vs. 2004):plus 11.000 Hörer
Mecklenburg-Vorpommern (2002 vs. 2004):    plus 10.000 Hörer

An dieser Stelle noch ein kleiner Hinweis bezüglich Ihrer Gegenüberstellung der Ergebnisse aus Hamburg und ganz Deutschland, die in dieser Form aus zweierlei Gründen nicht möglich ist: Erstens vergleichen Sie - wenn ich die Zahlen richtig lese - die Gewinne in Hamburg aus den letzten zwei Jahren mit den bundesweiten Gewinnen des letzten halben Jahres1. Und zweitens errechnet sich die bundesweite Anzahl der Hörer natürlich nicht nur aus den einzelnen NDR Sendegebieten, sondern aus dem Ergebnis für das NDR Gebiet insgesamt plus der Hörer aus anderen Bundesländern2. Eine "Bevorzugung" der Hamburger Hörer kann ich auf Grundlage dieser Angaben beim besten Willen nicht entdecken, zumal die Gewinne in Hamburg vor allem deshalb so hoch ausfallen, weil die Verluste in der Vergangenheit hier sehr dramatisch waren.

Nun noch eine Anmerkung zu Ihrer scharfen Kritik am Musikangebot von NDR Kultur. Diese Kritik halte ich für überzogen, sie wird offensichtlich auch nicht von der stetig wachsenden Hörerschaft von NDR Kultur geteilt. Ziel und Auftrag des aktuellen Programms ist es, ein breitgefächertes Klassik- und Kulturangebot für die Radiohörer im Norden bereitzustellen. Die umfangreichen Medienforschungsbefunde zeigen uns, dass der eingeschlagene Weg NDR Kultur diesem Ziel immer näher bringt.

Abschließend möchte ich Ihnen versichern, dass wir Kritik unseres Publikums ernst nehmen und stets in unsere eigenen Überlegungen einbeziehen. Dabei bitte ich Sie zu bedenken, dass es auch unter den Hörern sehr unterschiedliche Ansichten und Wünsche gibt, so dass wir immer versuchen müssen, einen vernünftigen Kompromiss zu finden. Genau das macht meines Erachtens eine verantwortliche und verantwortungsbewusste Programmgestaltung aus.

Mit freundlichen Grüßen

Gernot Romann
Programmdirektor Hörfunk

1 Frau Kossebau hatte - Herrn Romann richtig zitierend - die Vergleichszahlen von Juli 2002 und Juli 2004 benutzt. Der Hinweis von Herrn Romann auf das "letzte halbe Jahr" ist eine freie Erfindung, mit der Herr Romann auch in seinem WELT-Artikel vom 8. Oktober 2004 operiert hat...

2 Herr Romann hatte "NDR Kultur-Hörer in Hamburg (täglich)" und "NDR Kultur-Hörer in Deutschland (täglich)" aufgelistet. Nichts anderes hatte Frau Kossebau benutzt. Es wäre doch zu komisch, wenn Herr Romann seinen eigenen Artikel nicht beherrschen solte.

Als absolute Zahlen für die "Hörer gestern" (Montag bis Freitag) errechnet Das GANZE Werk aus den verschiedenen Quellen errechnet: dann:

Gebiet     Juli 2002     Veränderung     Juli 2004
Hamburg 7.000 plus 21.000 28.000
Mecklenburg-Vorpommern 21.000 plus 10.000 31.000
Niedersachsen 88.000 plus 13.000 101.000
Schleswig-Holstein 31.000 plus 11.000 42.000
NDR-Gebiet (von heute) 147.000 plus 55.000 203.000
Deutschland ohne NDR-Gebiet
(von heute)
59.000 minus 19.000
bzw.
minus 20.000
39.000
Deutschland 206.000 plus 36.000 242.000

Quelle für Juli 2002: Zahlen von Herrn Romann im Brief und im Artikel
grün und rot: eigene Berechnungen (Rundungsfehler von 1000 sind normal)
Quelle für Juli 2004: MA-Zahlen (NDR)

Lesen Sie die Korrespondenz zwischen der Hörerin I. Kossebau und Herrn Romann:

Zahlenspiegeleien, Teil 5
29.11.2004: Herr Romann lässt die Fachabteilung antworten
Welch eine Überraschung: Die errechneten Zahlen sollen falsch sein!
Die von Ihnen formulierten Reichweitenrechnungen entbehren jeglicher wissenschaftlichen Grundlage

Zahlenspiegeleien, Teil 4
31. Oktober 2004: Frau Kossebau bittet um weitere Zahlen
Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir zu den von Ihnen aufgeführten Zahlen auch die Ausgangszahlen der Media-Analyse Juli 2002 nennen könnten

Zahlenspiegeleien, Teil 3
8. Oktober 2004: Antwort von Herrn Romann
Der Hörfunkdirektor gibt Zahlen-Geheimnisse preis - gnädigerweise
Vor allem in Hamburg, aber auch in den übrigen Sendegebieten kann sich NDR Kultur so deutlich verbessern, dass ich Ihnen die Ergebnisse nur allzu gerne offen lege

Zahlenspiegeleien, Teil 2
15. September 2004: Brief der Hörerin I. Kossebau an Herrn Romann
Zurückweisung einer Beleidigung und eine Frage zu Zahlen
Gibt es außerhalb von Hamburg nur ein Plus von 15.000 Hörern?

Zahlenspiegeleien, Teil 1
Anfang September: Der Artikel von Herrn Romann
Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal
Generelle Trendwende in der Hörfunknutzung

Weitere Leserbriefe und Kommentare zu dem Artikel:
Beschwerde eines Hörers an den Intendanten des NDR, von P. Schwiesow
Nun entdecken alle Ihre Hörer wieder, was Lessing vom ‚denkenden Zuschauer/Zuhörer' schreibt Kommentar von G. Ossenbrunner, Bremen

Die Waage gleicht der großen Welt:
Das Leichte steigt, das Schwere fällt.

Lessing, zitiert von HWeblog
Es wäre ein positives Zeichen, wenn Sie sich mit dieser Bewegung in einen kritisch-konstruktiven Dialog begeben würden., Leserbrief von Tom Pause
Es wäre fair, wenn NDR Kultur mit seinen Clubmitgliedern im Magazin in einen Dialog träte, statt es als Propagandablatt zu mißbrauchen., Leserbrief von C. Meffert
Die Aufgeschlossenen, Leserbrief von M. Siebert
Nicht empfehlenswert: Medienpartnerschaft mit NDR Kultur in Niedersachsen, Leserbrief von L. Baucke
Ein dankbarer Hörer..., Leserbrief von H. Jühlke

Artikel im KlassikClub Magazin 09/2004:
Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal, September 2004
Vorläufer-Artikel im Feuilleton Hamburg der WELT:
Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal, 27. Juli 2004
Hauptartikel vorher im Feuilleton Hamburg der WELT:
Ein Hörfunkprogramm kann Gegensätze gut nutzen
Leserbriefartikel von Theodor Clostermann zum Romann-Interview, 21. Juli 2004
Nicht warten, bis der Mond aufgeht
Interview von Lutz Lesle mit Programmdirektor Romann, 25. Juni 2004
NDR-Kultur: Ein Radioprogramm zum gepflegten Weghören
Bericht von Lutz Lesle über die Gründungsveranstaltung des Initiativkreises Das GANZE Werk, 17. Juni 2004